
In einem atemberaubend leuchtenden Türkis schlängelt sich die Soča durch das Tal im Nordwesten Sloweniens. Links und rechts erheben sich die dicht bewaldeten Berge im satten Grün der Laubwälder, weiter oben mischen sich immer mehr dunkle Nadelbäume hinzu. Auf der linken Seite wächst hinter der ersten eine zweite, höhere und eher graue Bergkette in den Himmel. Noch eine Reihe dahinter wachen imposant die julischen Alpen mit ihren schneebedeckten rauen Gipfeln.
Doch im Tal lacht die Sonne. Schnell und gleichmäßig fließt das Wasser unter dem Kanu dahin. Als geübter Neckarpaddler genießt man die nur durch Vogelgezwitscher gebrochene Stille und fragt sich, wozu man bei dieser Tour einen Helm auf hat.

Die Frage wird schnell beantwortet, schon kommt die erste Stromstelle. Wild wirbelt das Wasser in Strudeln um die aus der Oberfläche ragenden Steine. Nun heißt es mit Bedacht um die Felsen herum lenken und nicht in Panik geraten, nur weil sich das Boot um sich selbst dreht oder Wasser in großen Wellen herein schwappt. Geschafft, der Fluß wird wieder ruhig.

Am Ufer stehen Angler hüfttief im Wasser. Auch Sebastian und Till aus Dresden versuchen derzeit in der Soča und deren Nebenflüßen ihr Glück. „Das ist das Eldorado der Fliegenfischer“, erklärt Sebastian. Der junge Mann mit Vollbart und Schnauzer träumt seit vier Jahren davon, in der Soča zu angeln. Immerhin kostet die günstigste Lizenz bereits 60 Euro pro Tag. Dieses Jahr haben Sebastian und Till ihren Wunsch dennoch wahr gemacht. Von früh morgens bis zum Einbruch der Dunkelheit werfen die beiden ihre Köder aus.
An der zweiten Stromschnelle wird es für die Kanuten im Fluß happiger. Der Wasserstand niedrig. Der einzig ausreichend tiefe Weg führt dicht am rechten Ufer vorbei. Erfolgreich und stolz dorthin manövriert, verfängt sich das Boot in den tief hängenden Ästen des Baumes am Ufer, das Gleichgewicht ist dahin und das Boot kippt.

Das Wasser ist eiskalt und die Neoprenanzüge bitter nötig, an den nicht bedeckten Waden brennt die Kälte wie Feuer. Doch die Anstrengung tut ihr Übriges, um den Körper warm zu bekommen. In der einen Hand das Paddel, in der anderen das umgedreht schwimmende Kanu an einer Schnur zieht die Strömung unbarmherzig.

Es braucht mehrere Anläufe und viel Willenskraft, um die Füße in den Steinboden zu rammen und im brusttiefen Wasser gegenzuhalten. Doch wie nun das Kanu umdrehen und hineinklettern, ohne das Paddel, den Boden oder das Seil loszulassen? Auf ein paar größeren Steinen Richtung Flußmitte gelingt das unmöglich Geglaubte – irgendwie. Vermutlich hatte die Angst vor erfrorenen Zehen den größten Anteil am Erfolg. Doch verdammt, wo ist der zweite Kanuinsasse? Etwa zwanzig Wellen flußabwärts leuchtet etwas blau im türkisenen Wasser: ein Helm!

Fünf Minuten später sitzen alle Kanuten wieder an ihrem Platz. Davon geschwemmt sind zwei Schuhe und vor allem eine Helmkamera. Mehr als ärgerlich, nicht zuletzt aufgrund des möglicherweise spektakulären Kentervideos und der Kanufotos. Einer der verlorenen Schuhe leuchtet ein paar Kilometer flußabwärts rot am Ufer und kann wieder eingesammelt werden, doch einzeln wird er kaum noch zu gebrauchen sein. Die Kamera bleibt verschollen. Dennoch bringt der Rest der Tour eine Menge Spaß, mit der keine Wildwasserbahn mithalten kann.
Am Ausstieg direkt am Campingplatz wartet Viljem Perdih mit drei Gläsern Schnaps und stößt an mit den zwei triefnassen Paddlern. Ihm gehört „Camp Vili“ nicht nur, es ist sein Zuhause. Alles hat er mit seinen eigenen Händen aufgebaut: sein Haus am Rand des Platzes, die Duschen, die Rezeption. „Ich habe keine Gäste, nur Freunde“, stellt Vili klar. Schnell ist zu spüren: Der Slowene mit dem breiten sonnengegerbten Gesicht und dem ehrlichen Lachen will aus tiefem Herzen, dass es allen hier gut geht, und dass alle teilhaben – an „Camp Vili“. „Wenn Ihr helfen wollt, hier gibt es immer Etwas zu tun“, sagt er und zeigt auf zwei seiner Freunde, die gerade aus massivem Holz eine vier Meter lange Tafel schreinern.


Viele Camper sind bereit zu helfen, etwa Petra, Ralf und Heiner aus Bayern. „Wir sind so fünf- bis sechsmal im Jahr hier. Seit Vili 2004 den Platz eröffnet hat“, sagt Heiner. Die Freunde kommen zum Gleitschirmfliegen, auch Paragliding genannt. Das ist neben Kanufahren und Angeln eine weitere beliebte Sportart im Sočatal. „Die Thermik hier ist sehr gut“, erklärt Vili. „Diese Bergkette vor uns ist die letzte sehr hohe vor dem Meer. Die warmen Winde kommen direkt von dort und können etwa einen Drachenflieger stundenlang tragen.“ Aber auch für Gleitschirmflieger sind sie gut geeignet.
Leider ist der Wind zur Zeit stark, erschwerte Bedingungen für das Fliegen. Ralf traut sich dennoch. Die Landung ist ruppig, doch der Münchner kommt wohlbehalten unten an. Ein anderer Gleitschirmflieger schafft es nicht so gut und muss am Landeplatz ärztlich versorgt werden. „Das ist der Ostwind“, erklärt Ralf, „der macht alles schwieriger.“ Gleichzeitig schwärmt er vom Gleitschirmfliegen und dem Ausblick auf das Sočatal bei besseren Bedingungen.


Ralfs Freund Heiner hat heute keine Lust auf einen solch unruhigen Flug. Stattdessen fährt er in diesen Tagen lieber mit seinem Motorrad stundenlang durch die Berge. Heiner findet: „Die Serpentinen, die Pässe, die alten Brücke und Viadukte – es ist einfach schön hier.“

Dieser Meinung sind auch Torsten und Christian. Die beiden Bielefelder sind zum Radfahren in den Triglav-Nationalpark gekommen. „Das ist der ideale Ausgangspunkt hier für viele Stecken“, erklärt Torsten. „Wer für das ‚Sehen und gesehen werden‘ Rad fährt, kann an den Gardasee gehen. Wer die Natur liebt und einsame schmale Wege durch den Wald, sogenannte Singletrails, kommt lieber hierher. Und der Gastgeber auf diesem Camping-Platz ist ja auch einfach sensationell.“

Am Abend, wenn alle Wasser-, Berg- und Radsportler zurück sind, macht Vili das Lagerfeuer an und kocht für seine Freunde, mehrmals in der Woche den ganzen Sommer über. Für jeden Gast, der sich an die lange Tafel setzen möchte, ist genug da. „Selbst wenn ich im Sommer ausgebucht bin und 70 Leute da habe: Meist bin ich ab elf Uhr morgens alleine im Camp. Alle treiben ihren Sport. Wenn sie zurück kommen sind sie müde und hungrig.“ Einmal gibt es Kartoffeln und Gemüse im Balkanstil – stundenlang über dem Feuer gegart. Am nächsten Tag wird gegrillt. Häufig steht Fisch auf der Speisekarte. Alle Zutaten sind frisch und aus der Region, darauf besteht Vili.

Vili weiß nicht auswendig, vor wie vielen Jahren er den Campingplatz eröffnet hat. Nachnamen gibt es an diesem Ort nicht. Er interessiert sich nicht für sein Alter oder für das seiner von ihm innig geliebten beiden Kinder, die in der Stadt studieren: „21, 22, 23: Wo ist der Unterschied? Jahreszahlen sind mir nicht wichtig, Geld auch nicht. Vertrauen ist, was zählt.“ Und das bringt er gerne entgegen, solange die Menschen gut zueinander sind. Vor allem vertraut Vili seinem Freund und seiner rechten Hand: Kevin ist in dieser Saison sein einziger Mitarbeiter. Der junge Halbitaliener, Halbslowene mit den rotblonden zotteligen Haaren und dem breiten Lächeln packt den ganzen Tag mit an und arbeitet wie eine Maschine: Er hobelt, schleppt und lacht mit den Gästen.

Wer den großen Luxus sucht, ist falsch im „Camp Vili“. Swimming Pool, direkte Autobahnanbindung und Bungalows gibt es nicht. Doch wer lange Tafeln, prasselnde Lagerfeuer und gute Menschen schätzt, kann hier eine tolle Zeit verbringen.
Um 22 Uhr zündet Vili gerne die Fackeln an, die über den ganzen Platz verteilt stehen. Dann wird es gemütlich. Die ausgepowerten Sportler blicken in den sternenklaren Himmel und berichten von ihren Touren und ihren Naturerlebnissen im stillen Sočatal.

Dieser Artikel ist ebenfalls im Mannheimer Morgen erschienen: http://m.morgenweb.de/freizeit/reise/im-tal-der-sportler-1.2825616
Es ist aus heutiger Sicht schwer vorstellbar, doch wo heute Naturliebhaber aus Slowenien, Österreich, Deutschland, den Niederlanden, Italien und vielen weiteren Ländern zusammen friedlich und mit Freude Sport treiben, war einst ein besonders grausamer Kriegsschauplatz. So gehören leider nicht nur Kanufahrer und Wanderer zur Geschichte des Sočatals, sondern auch der Erste Weltkrieg.

Zwischen Mai 1915 und Oktober 1917 starben entlang des leuchtend türkisenen Wassers rund 300 000 Soldaten. In einem unbarmherzigen Stellungskrieg standen sich Österreicher und Italiener 29 Monate gegenüber. Die Bevölkerung wurde evakuiert, fand aber nach den anderthalbjährigen Kämpfen nur noch Ruinen vor, wo einst ihre Häuser standen.
Wer etwas über die grausame Geschichte wissen möchte, die eben leider auch eng mit dem Schicksal des Tals verknüpft ist, kann in Kobarid im Museum mehr erfahren. Außerdem werden die Stellungen auf den Hügeln teils als Mahnmal erhalten. Von hier oben kann man noch heute durch eine Schießscharte auf das wunderschöne Tal blicken und sich fragen, wie dumm die Menschen sind, dass sie selbst diesen perfekten Ort in ein Blutbad verwandeln mussten.
Toll!
Schön geschrieben und so wie es auch wirklich war
Bei 30°C im Schatten klänge das sehr erfrischend, gott sei dank musstet ihr keine Eskimorolle machen!
Das wunderschöne Titelbild, wie hast du das aufgenommen, Benni?
Möglicherweise aus der Luft?
Fliegen war nicht nötig. Ein benachbarter Berg war auch hoch genug. 🙂
Ah….das klingt alles sehr spannend und sieht richtig gut aus
Nur der Gedanke an mein warmes, weiches Bett versöhnt mich wieder mit meinem abenteuerfreien Dasein
Wünsche euch noch ganz viel Spass auf eurer Abenteuerreise!
Traumhaft schön! 🙂 Da bekomme ich glatt Lust die alte Heimat wieder zu besuchen!