„Schnell, mach ein Foto! Da ist ein Kamel.“, wenn ich gewusst hätte, wie viele Kamele wir in den nächsten Monaten sehen werden, hätte ich das sicher nicht gerufen. Auch nicht, wenn ich Farsi könnte, also die vielen Schilder entlang der Straße hätte lesen können. Zugang verboten, fotografieren verboten, existieren verboten. So etwas Ähnliches dürfte darauf gestanden haben. Geblendet von den wunderschönen Erlebnissen mit den Iranern haben wir unsere Vorsicht völlig über den Haufen geworfen und vergessen, in welchem Land wir uns befinden.
Hinter dem Kamel steht ein Tor, Soldaten, Kontrollposten. Aber große Sorgen machen wir uns immer noch nicht. Wir haben uns an die häufigen Kontrollen gewöhnt und wurden dabei bislang immer freundlich behandelt. Und außerdem: Laut Navi müssen wir direkt durch das Tor.
Also steigt Benni aus und fragt den Mann in dem kleinen Häuschen vor dem Tor, ob es hier nach Yazd geht. Der versteht kein Wort Englisch und will das auch nicht. Stattdessen scheint er in dem Häuschen zu wohnen, seine Jogginghose seit zwei Wochen nicht gewechselt und in dieser Zeit auch nicht geduscht zu haben. „Yes, yes. Passport“, sagt er. Benni gibt ihm die Dokumente. Bislang ist alles wie immer im Iran, nur unfreundlicher und stinkender. Doch dann will der Mann in dem Häuschen immer mehr: Handys, Kamera, Laptops. Erst jetzt sehe ich, dass die Soldaten auf dem Tor Maschinengewehre in den Händen halten. Unsere Beteuerungen, dass wir gerne einen anderen Weg nehmen können, er soll uns nur unsere Sachen zurückgeben, interessieren den Mann in der Kontrollstation nicht.
Der Mann schaut sich alle unsere privaten Daten durch, ohne unser Beisein. Er sagt uns nicht, was das hier ist, was wir falsch gemacht haben, was als nächstes passiert. Ab und zu lässt er Autos durch die Schranke. Manchmal Laster, manchmal Wagen, die aussehen wie private Pkw. Kinder sitzen auf dem Rücksitz. Dokumente werden keine gezeigt. Wir verstehen die Welt nicht mehr. Nach fast einer Stunde Ungewissheit muss ich ein paar Tränen verdrücken, setze mich dafür ins Auto und betrachte die Umgebung: Wüste. In jede Richtung nichts als Sand. Außer diesem Zaun, durch dessen Löcher die Kamele hin und her spazieren. Plötzlich steht ein Soldat einen halben Meter vor meinem offenen Fenster. Er ist jünger als der Mann im Haus, der gerade unsere Mails durchblättert. Der junge Soldat hält das Maschinengewehr nicht mehr in den Händen, stattdessen baumelt es unbeachtet hinten an seinem Rücken. Traurig schielt er zu mir herüber, sagt dann nur: „I am sorry“, und marschiert wieder hinauf auf das Tor. Später erklären uns Freunde, dass jeder Mann im Iran Militärdienst ableisten muss. Diese Unfreiwilligen sind meist sehr jung und nicht selten missfallen ihnen die Dinge, die sie tun müssen.
Wir sollen im Auto warten, während unser Oberkontrolleur ein weiteres Mal in seinem Häuschen Laptop und Handies begutachtet. Mehr als eine halbe Stunde später erscheint er wieder. Wir sollen aussteigen und uns vor unseren Bus stellen. Fototermin. Wieder verschwindet der bärtige Mann. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt plötzlich ein weiterer Mann in gepflegter ziviler Kleidung in einem großen neuen Pickup aus dem abgesperrten Gelände angefahren. Er packt unsere Sachen in sein weißes Gefährt, befiehlt uns zu folgen und brettert davon. Bei der Geschwindigkeit auf den abgenutzten Straßen können wir in unserem alten Bus kaum folgen. Genau den Weg, den wir am Morgen gekommen sind, fahren wir nun zurück: 50 Kilometer durch die Wüste bis nach Semnan, der nächstgelegenen Stadt.
Auf dem Polizeirevier oder dem Militärstützpunkt (oder wie auch immer dieses bewachte Gebäude hinter Mauern und Stacheldraht heißt, keiner sagt es uns) geht der Spießroutenlauf von vorne los, nur diesmal mit vier Schikanierern. Keiner erklärt uns, was wir falsch gemacht haben, was passieren wird. Wieder werden unsere Fotos und Nachrichten durchsucht. Doch da uns mittlerweile klar ist, dass dieser Zaun zu irgendetwas Militärischem führen muss, erklären wir nur immer wieder dasselbe: Wir sind nur Touristen, welche die Wüste sehen wollen. Kamele, Sand, Oasen. Was wir damit meinen: Wir sind keine Spione, auch wenn wir dieses böse Wort lieber gar nicht erst aussprechen.
Doch unsere Geschichte ist für Iraner nun mal nicht glaubwürdig. „Warum sollte man auf diesem Weg nach Yazd fahren?“ steht in ihren Gesichtern geschrieben. Dieselbe Frage hatten uns auch liebe Menschen in den vergangenen Tagen gestellt. Zuletzt meinte ein Restaurantbesitzer: „Da ist nichts. Nehmt lieber die Autobahn weit außen herum. Oder fahrt morgens um vier Uhr los, damit ihr am gleichen Tag noch in Yazd ankommt.“ Dass Wüste mehr als trister trockener Alltag, dass sie schön, still, romantisch und sternenklar sein kann, kümmert wenige Iraner. Ihre bevorzugten Urlaubsziele liegen im grünen Norden des Landes.
So versuchen es auch die Männer im Militärstützpunkt: Sie zeigen nickend auf die Karte mit der Strecke über Teheran und die Autobahn. Mehrere hundert Kilometer Umweg. Dann zeigen sie auf die Strecke durch die Wüste, sagen „Puff puff“, und machen Schießgesten mit beiden Händen. Jetzt haben wir genug. Sie können uns nicht ein Viertel des Landes verbieten. In dieser riesigen Wüste gibt es touristische Oasen, mit Kamelausritten, Jeepsafaris und Läden, die traditionelle Handarbeitsware verkaufen. Da kann nicht überall Militär sein. Der älteste der Männer ruft seinen Vorgesetzten an. Schließlich kommen wir auf eine Lösung, mit der er sein Gesicht wahren und gleichzeitig als großzügiger Gönner dastehen kann: Triumphierend erklärt er uns, dass wir durch die Wüste fahren dürfen. Nur eben nicht auf der einen Straße durch das Tor.
Am Ausgang werden wir und unser Auto noch von allen Seiten fotografiert. Dann bekommen wir tatsächlich unsere Sachen zurück. Bevor er das Tor öffnet, ist es wiederum ein sehr junger Mann, der an meinem Fenster vorbeiläuft und fast unbemerkt „I am sorry“, murmelt.
Sieben Stunden ist es her, dass wir Kamele fotografiert haben. Die Bilder sind gelöscht, die Kameraknöpfe stinken unerwartet heftig nach dem kleinen Kontrollhäuschen in der Wüste. Jetzt wollen wir endlich wissen, was das eigentlich alles zu bedeuten hatte. Also fragen wir einen iranischen Freund per Kurznachricht. Der antwortet promt: „Bei Semnan? Ja, das ist eine geheime Raketenabschussbasis. Jeder Iraner weiß das und macht einen Bogen um das Gebiet. Trotzdem hat ein Freund von mir einmal nicht aufgepasst. Da ist ihm an der gleichen Stelle das Gleiche passiert wie Euch.“
Geblendet von der Gastfreundschaft der zivilen Iraner haben wir vergessen, wo wir sind. Die Ernüchterung traf uns wie ein Schlag: Rechtsstaat, Respekt vor Privatsphäre, Freundlichkeit – davon ist die Staatsmacht hierzulande weit entfernt.
Sehr sehr gruselig.
Das hätte auch anders ausgehen können.
Ich mag gar nicht dran denken.
Da hattet ihr ja ein hässliches und angstmachendes Erlebnis, das falsche Tor zur Wüste.
Wie gut dass die Reise weiterging und ihr danach soviel Schönes gesehen habt und viele liebe Menschen getroffen.
Und wie traurig, dass das schöne Land mit seinen Menschen so unterjocht wird.
Und Peter, schau mal, wie lustig Laura aus dem Bus lacht, als wäre nix geschehen!
Ihr seid schon einmalig, ihr Zwei!
Aber jetzt genießt mal eure Zeit, die noch vor euch liegt auf eurer Reise, wir kratzen schon alle mit den Füßen im Sand vor Vorfreude…