Die Bahn fährt nicht mehr. Schon seit 1976. Leer schlängelt sich das Gleisbett den grünen Berg im südlichsten Zipfel Kroatiens hinauf. Selbst die Schienen sind weg. „Das war guter Stahl, klar hat man eine neue Verwendung dafür gefunden“, erklärt James Manning. Der zupackende Engländer streicht mit Daumen und Zeigefinger durch seinen dichten Vollbart und zeigt mit der anderen Hand auf den Boden. „Aber der Untergrund ist solide. Es ist kein Problem, hier neue Schienen zu verlegen.“
Die Pläne sind alle da: der technische Plan, der Businessplan, der Werbeplan. Dennoch fehlt einiges, bis der Traum verwirklicht werden kann, bis die alte Dampflok „Ciro“ wieder an der Balkanküste entlang und über die Felsen tuckert. Vor allem fehlt: Geld, Investoren, Teilhaber. „Wir brauchen neun Millionen Euro“, sagt Manning achselzuckend. „Oder 1,5 Millionen. Dann leiht uns die Bank den Rest.“ Aber der 35-Jährige ist zuversichtlich. „Nach fünf Jahren trägt sich ,Ciro‘ selbst. Ich glaube, dass es gut ist, an diesem Projekt beteiligt zu sein. Deshalb mache ich ja auch selbst mit.“
Gut möglich, dass mit „Ciro“ gutes Geld zu verdienen ist. Schließlich soll der Zug eine Touristenattraktion werden. Und Touristen gibt es in Kroatien genug. Vor allem im Sommer an der Küste. „1,2 Millionen Menschen kommen jedes Jahr mit dem Flugzeug oder dem Auto in die Altstadt von Dubrovnik, und wir sind nicht weit entfernt von der Stadt. Nochmal so viele kommen mit Kreuzfahrtschiffen“, sagt Marko Bradvica. Er ist Erfinder, Herz und Motor des Touristenzugprojekts. Bradvica mag 78 Jahre alt sein, aber die Zahlen hat er im Kopf. „Das sind alte Leute auf den Kreuzfahrtschiffen. Die wollen nicht zwei Stunden in der prallen Sonne auf der Stadtmauer Dubrovniks im Kreis laufen. Vom Zug aus können sie sich viel entspannter die Umgebung ansehen, essen und einen Cocktail trinken. Wenn wir wie geplant in der Hochsaison 2160 Menschen pro Tag fahren, ist das immer noch nur ein kleiner Anteil der Touristen. Das wird aufgehen.“
Der neue „Ciro“ als Touristenattraktion ist Bradvicas Traum. „Männer werfen ihre Zylinder, Frauen jubeln mit Sonnenschirmchen in der Hand, wenn der Zug im historisch aufgearbeiteten Dorfbahnhof einfährt“, stellt sich Bradvica vor. „Ich weiß, wie das geht, ich habe im Disneyland gearbeitet.“ Seit 2003 hat der große bullige Mann viel Zeit und Geld investiert, Fort- und Rückschritte erlebt, doch er macht immer weiter. Ganz wie die alte Dampflok selbst geht er langsam, aber stetig und mit einer Menge Kraft dem Ziel entgegen. In gewisser Weise ist Bradvica „Ciro“. Oder zumindest weiß er sich so zu verkaufen. So erzählt er gerne ausführlich lebhafte Geschichten von früher – mit einer gehörigen Portion Eisenbahnromantik.
„Ich bin in Dubrovnik aufgewachsen. Als ich noch jung war, kamen mit der Bahn oft Mädchenklassen in die Stadt, um einen Schulausflug zu machen. Wir Jungs klauten Blumen aus den Balkonkästen und empfingen die Mädchen am Bahnhof. Wir verbrachten den Tag mit ihnen und sprangen abends heimlich auf den Zug auf, um noch ein oder zwei Stationen mitzufahren“, schwärmt der Kroate von den alten Zeiten.
Aber Bradvica hat auch Schlimmes mit „Ciro“ erlebt. Als kleiner Junge besuchte er seinen Onkel im Hinterland von Dubrovnik. Damals tobte hier der Zweite Weltkrieg und ein Sprengsatz katapultierte den Zug von den Schienen. Der kleine Bradvica wurde Zeuge der Explosion und fragte seinen Onkel: „Wird der Zug jemals wieder fahren?“ Darauf habe der Onkel geantwortet: „Wenn wir das Gott überlassen: niemals. Aber wenn die Menschen anpacken: schon morgen.“
Der Zug fuhr wieder, später nicht mehr mit Dampf, sondern mit Diesel, aber er fuhr. „Ciros“ Zeit, die 1901 begann, endete erst in den 70er Jahren. Für Bradvica ist es keine Frage, dass das ein großer Verlust für die Region war. Der Zug habe den Menschen hier in den Dörfern den Anschluss nach draußen gebracht, ja geradezu die Steinzeit beendet. Danach seien die Leute wieder mit ihren Eseln über die Gleise gestolpert.
Heute leben im Hinterland von Dubrovnik nur noch wenige Menschen. Bradvica zeigt auf den verwilderten Abhang, der sein Grundstück vom Meer trennt und sagt: „Als ich ein kleiner Junge war, war das hier alles bewirtschaftet – Schafe, Olivenhaine. Jetzt ist da nur noch Dschungel.“
Das Dorf Mikulići, in dem Bradvica seine Sommer bei Onkel und Tante verbrachte, hatte damals rund 250 Einwohner, heute sind es 37. In der ganzen Region namens Konavle leben nur noch 8500 Menschen. „Und die meisten sind alt“, klagt Bradvica. „Die jungen Leute wandern ab in die Städte. Hier gibt es nichts für sie zu tun. Bei ,Ciro‘ wollen wir 40 Menschen Arbeit geben. Und das alles drum herum, die Restaurants und Souvenirshops, die entlang der Strecke entstehen, das sind weitere 500 Arbeitsplätze“, träumt 78-Jährige vom Wiedererblühen seiner alten Heimat.
Kein Wunder bei dieser Zielsetzung, dass Bradvica am liebsten auch Teilhaber aus der Region hätte. „Und wenn sie nur 1000 Kuna, umgerechnet rund 130 Euro, investieren können“ betont er den für ihn so wichtigen lokalen Charakter des Projekts. Viele Menschen hier unterstützen Bradvica auch tatkräftig. Doch andere sind skeptisch, ob „Ciro“ je wieder fahren wird. Wenige haben sogar Angst vor der Veränderung. Doch da winkt der 78-Jährige nur ab: „Ach, die werden sehen, wie stark sie profitieren werden. Was für gute Arbeit sie bekommen können.“
Mit 17 Jahren floh Bradvica aus seiner Heimat. Ein Jahr lebte er in Italien im Flüchtlingslager. „Dort war ich erst Gehilfe eines Kaffeesatzlesers. Dann sammelte ich Zigarettenstummel, um die Tabakreste zu verkaufen. Das war mein erstes Geschäft“, erzählt er lachend. Anschließend kam der junge Bradvica nach Kanada. Dort arbeitete er erst als Maler, später stieg er auf im Baugewerbe. Er heiratete eine Kanadierin mit irischen Wurzeln und bekam zwei Söhne.
Ein bewegtes Leben später, nach fast 50 Jahren, zog es Bradvica zurück an die Heimat an der Adria. Auf dem alten Grundstück seiner Familie baute er sich ein Haus. Die Söhne leben in Kanada, Bradvicas Frau ist verstorben.
Dennoch ist der Rentner nicht allein. In den vergangenen vier Jahren seien rund 2000 Fahrradfahrer an der Küstenstraße Richtung Griechenland an meinem Haus vorbeigekommen, sagt er. „Sie können bei mir zelten und bekommen Trinkwasser. Ich habe kein Geld mehr, um zu reisen. Und ich gebe viel für ,Ciro’ aus. So kommt die Welt eben zu mir.“
Viele Radler, die vorbeikommen, helfen beim Zugprojekt. Ein Brasilianer hat das Logo entwickelt, der Engländer Manning den Businessplan ausgearbeitet – alles unentgeltlich, gegen Kost und Logis gewissermaßen. Manning ist mit seinem Fahrrad vor sieben Monaten hier hängen geblieben. Momentan arbeitet er mit Grafikdesignerin Estel Valera an der Webseite von „Ciro“. Valera wollte nur ihre Wasserflasche auffüllen und gleich weiter fahren. Das war vor zwei Wochen. „Es ist toll bei einem Projekt dabei zu sein, an dem so viele Menschen mitwirken“, so die Katalanin.
Es mögen kleine Brötchen sein, die Bradvica und seine Helfer backen: eine neue Landkarte für die Webseite hier, ein Gespräch mit möglichen Unterstützern aus der lokalen Politik da. Dafür wird das Ganze langsam realistischer: Von der ursprünglich langen Strecke bis nach Sarajevo, die heute mehrere Landesgrenzen überschreiten würde, sollen zunächst nur etwa 15 Kilometer verwirklicht werden, komplett in einer Region Kroatiens. Die Züge sollen zunächst geleast, später gekauft werden. Der Kontakt zu den Verkäufern in Bosnien ist schon da. Eine Dampf- und zwei Dieselloks sollen es werden. Die Unterstützung der regionalen wie der nationalen Regierung ist gesichert.
„Frühestens in zwei Jahren fahren wir, denke ich. Vielleicht dauert es auch noch länger“, lässt sich Bradvica Zeit. Er geht „Ciro“ an, wie er alles angeht. Ganz nach dem Motto, die das Hinterland Dubrovniks auf so entspannte Art am Laufen hält und vielleicht auch bald wieder die alte Dampflok antreibt: „Polako, polako“. Auf deutsch heißt das etwa: „In aller Ruhe“.
Ich wünsche Marko Bradvika (und allen, die sich mit und für ihn engagieren) dass er die Renaissance “seiner” Bahn erleben darf, die kleinen Fortschritte sollen ihn hundert Jahre alt werden lassen!
Und wieder sind’s so tolle Fotos und auch ein Blick in die Geschichte, dass ich mich immer nur schwer entscheiden kann für einen Desktophintergrund, am Besten zwei Mal täglich ändern!
Gute Reisewünsche für euch!