Klettern macht Spaß. Besonders in Kappadokiens unterirdischen Städten. Jedes Loch und jede Treppe führt zu immer neuen Räumen und Geheimnissen. Ein Höhlensystem der Superlative. Dieses Spielparadies wusste Deniz (Name geändert) schon als Kind zu schätzen. Hier spielte er mit seinen Freunden stundenlang Verstecken.
Heute jagt der 21-Jährige die Kinder nach draußen, die durch die Gänge toben. Seit dieser Saison ist er Reiseführer, der jüngste im Kollegenkreis. „Ich habe angefangen, Informatik zu studieren“, erzählt er. Aber Computer interessieren ihn doch nicht genug. Die Höhlen und das Dorf darüber, das ist seine Heimat und seine Leidenschaft. Diesen Ort will er anderen zeigen.
Die unterirdischen Städte Kappadokien, so erzählt es Deniz, sind rund 4000 Jahre alt – zumindest die oberen Stockwerke. Die frühen Christen fanden die Ruinen und bauten sie erheblich aus. In bis zu 85 Meter Tiefe gruben sie Schlafräume, Küchen, sogar Kirchen, Schulen und Winzereien. Dort unten konnten sie sich in Kriegszeiten verstecken. Für bis zu fünf Monate reichte der Sauerstoff und die zuvor gesammelten Lebensmittel. Manche der Städte unter der Erde bot für tausende Menschen ein vorübergehendes Zuhause.
„Es muss einen Architekten gegeben haben“, so der 21-Jährige am Eingang von Kaymakli, der weitläufigsten entdeckten unterirdischen Stadt Kappadokiens. „Denn es ist alles so gut durchgeplant.“ Im ersten Untergeschoss lagen die Ställe. Auf diese Kellerhöhe konnten Schafe, Ziegen, ja sogar Kühe und Pferde gebracht werden. Ein Stockwerk darunter lagen die Schlaf- und Wohnräume der Priester und der Oberschicht. „Es war wie auf der Titanic“, erklärt Deniz. „Ein Klassensystem. Die erste Klasse lebte oben, nah am Sauerstoff und an den Fluchtwegen nach draußen. Darunter lebte die zweite Klasse, die unterste Schicht musste tief in den Berg hinunter.“
Trickreich gruben die frühen Christen ihre Festungen aus. Sie gruben immer wieder ein Stück tiefer in den weichen Boden hinein. Kam das Geröll vulkanischen Ursprungs mit Sauerstoff in Berührung, härtete es aus und bot stabile Räume.
Oberhalb der Erdoberfläche sieht es in Kappadokien aus wie auf dem Mond – oder in einer Star Trek Kulisse. Hinter jeden größeren Fels erwartet man, Captain Kirk müsste sich gleich herunterbeamen. Bizarre Felsformen stehen wie spitze Hüte in die Luft. „Feenkamine“ werden sie genannt.
Wer genug Urlaubsgeld eingeplant hat und vor Sonnenaufgang aufsteht, kann mit dem Heißluftballon zwischen den zauberhaften Spitzen hindurchfliegen. Dafür bieten die hiesigen Winde optimale Bedingungen.
Nicht nur unter der Erde, auch in den spitzen Felsen, den Feenkaminen, lebten Menschen. Ihre Häuser sehen aus wie die Negative ihrer normalen Verwandten. Im Nationalpark Göreme wohnten bis in die 50er Jahre hinein Menschen in den Felsen. 1952 wurden sie wegen Einsturzgefahr evakuiert. Heute schieben sich die Besuchermassen durch das Gebiet. Doch an einem abgesperrten Höhleneingang, auf dem Felsvorsprung: Stehen da nicht noch Balkonblumen? Doch der ältere Mann winkt ab: Er wohne doch nicht hier, er arbeite nur im Nationalpark. Dann schließt er das Tor wieder und setzt sich drinnen im Fels an den lärmenden Fernseher.
Wer heute noch nachspüren will, wie es sich noch vor wenigen Jahrzehnten als Höhlenbewohner angefühlt hat, kann in eines der zahlreichen Hotels übernachten. Als sogenannte „cave rooms“, Höhlenzimmer, wurden einige der alten Behausungen für Besucher hergerichtet. Höhlenzimmer gibt es in allen Preisklassen, von der Luxussuite mit in den Steinboden eingelassenem Whirlpool oder als relativ rudimentäres Loch im Fels mit Bett und Holztür. So kann jeder auf seine Weise und seinem Geldbeutel entsprechend der Geschichte nachfühlen.
In Kappadokien gibt es viele alte Kirchen zu entdecken, schließlich waren es frühe Christen, die hier Unterschlupf suchten. Doch wer jetzt denkt, schon genug Kirchen auf der Welt besichtigt zu haben, sollte den hiesigen dennoch eine Chance geben. In gewisser Weise sehen sie aus wie jede Kirche: Ein Kirchenschiff, ein Altarbereich und Säulen. Doch diese Säulen wurden nicht Stein für Stein aufeinandergebaut, vielmehr wurden sie beim Herausschlagen des Steines stehengelassen. So wirkt alles ein wenig verkehrtherum – und doch genau wie immer.
Zudem liegen die Kirchen Kappadokiens versteckt, christliche Messen wurden hier heimlich gefeiert. Bei einer Wanderung durchs Tal stößt man so immer wieder auf neue Gotteshöhlen mit Wandmalereien. Eine Entdeckungstour, fast so spannend wie die in den unterirdischen Städten wenige Kilometer entfernt.